Allgemeine Zeitung Mainz – Zettels Theater begeistert in Wörrstadt mit „Hamlet“

Von Ulla Grall
(30.07.2018)

WÖRRSTADT – Rein oder nicht rein? Das war die Frage, mit der die Schauspieler von Zettels Theater sich konfrontiert sahen. Aber – no risk, no fun – die Truppe entschied sich für open air. Und es wurde eine wundervolle Aufführung, bei der wirklich alles stimmte.

Dass der Wörrstädter Kulturkreis Gastgeber der verwandelten Shakespeare-Stücke ist, hat Tradition, ebenso der Aufführungsort zwischen den beiden Kirchen, der den Abenden stets ein besonderes Flair verleiht. „Von sechseinhalb auf zwei Stunden runtergekürzt“ hat Andreas Koch das Shakespeare-Drama. Dabei musste er auch die personelle Besetzung des Originals stark reduzieren. „Auf die Figur des Polonius zu verzichten war am schwierigsten“, bekennt er im Interview nach der Vorstellung. Der Tod des Vaters der Ophelia, bei Shakespeare versehentlich von Hamlet erdolcht und einer der Gründe für Ophelias Wahnsinn, fehlt also. Das Leid Ophelias, das zu ihrem Freitod im Wasser führt, wird nun ausschließlich auf ihre Liebe zu Hamlet bezogen.

Die Zuneigung Hamlets zu ihr zweifelt sie an, dessen vorgespiegelten Irrsinns wegen. Damit hofft er, dem in der Nacht der Geist des Vaters erschien, seinen Onkel Claudius überführen zu können. „Wenn du je deinen Vater liebtest, so räche seinen unnatürlich üblen Mord!“, verlangt das Gespenst. Dass Claudius zudem Hamlets Mutter, Königin Gertrud, ehelichte, stürzt den Dänenprinzen in tiefe Verzweiflung. Nur seinem Freund Horatio offenbart er sich, doch der kann das Drama nicht aufhalten.

Ist dies nun eine Familientragödie aus ferner Vergangenheit? Ein Lehrstück über Lüge, Mord, Treue und Rache? Hat der Wahnsinn Methode? Sind Parallelen zu ziehen in die heutige Zeit? Bei aller Tragik der Handlung schafft es Koch mit seiner Schauspielgruppe, auch komische Momente zu erzeugen. Entsetzen und Lachen liegen dicht beieinander und werden von Zettels Komödianten großartig umgesetzt.

 

Claudius, gespielt von Stefan Senf, ist ein gewissenloser Brudermörder. Königin Gertrud – Beate Krist in High Heels, 50er-Jahre-Kleid und Pelzstola – nimmt den Tod des ersten Gatten leicht: „Was lebt, muss sterben.“ Ophelia, dargestellt von Vanessa Engeln, ist eine liebliche Geliebte, die an der Widersprüchlichkeit der Anforderungen scheitert. Franziska Langer als Ophelias Schwester Laerte, (Alter Ego von Laertes, wie bei Shakespeare der Bruder heißt), fordert Hamlet zum Pistolenduell. Horatio, der treue Freund des Dänenprinzen, gespielt von Eric Haug, bemüht sich um Vernunft – und ist der Überlebende des Dramas. Andreas Koch selbst gibt den Geist von Hamlets Vater, außerdem den Schauspieler, stellvertretend für die ganze Schauspielertruppe, die bei Shakespeare auftritt. Als Autor und Regisseur hat sich Koch hier geschickt und mit Witz aus der Affäre gezogen. Aus zwei Totengräbern bei Shakespeare wird bei Koch einer (Holger Trapp), selbst Rosenkranz und Güldenstern tauchen auf, wenngleich nur als begrabene Symbole. Vor allem glänzt Hamlet, großartig dargestellt von Jonathan Roth. Eine beeindruckende Leistung, zum einen der immensen Textmenge wegen, die er für diese Rolle bewältigt, vor allem aber wegen seiner überzeugenden Schauspielkunst.

Hatte sich Koch bei seiner Begrüßung schon bei allen bedankt, die an der Aufführung beteiligt waren, so äußert er sich später anerkennend über die Wörrstädter Zuhörerschaft: „Die Stille nach dem letzten Akt wurde nirgends vorher so lange ausgehalten“.

Es ist wie ein Teil des Dramas: Wenn am Ende alles tot auf der Bühne liegt, vergiftet, erschossen, als Hamlet selbst sich umbringt – „Der Rest ist Schweigen“ – als das Licht verlöscht, herrscht lange, atemlose Stille. Erst dann beginnt das Publikum begeistert zu applaudieren.