LiteraTierisches

Markus Maria Winkler & Jürgen Wegscheider
25.08.2016 – In der Scheier 1664

Text: Ulla Grall · Bilder: Eberhard Gladrow

ZENISCHE LESUNG Schauspieler schlüpfen in literarische Tierrollen und halten so dem Publikum in Rommersheim den Spiegel vor.

Wer zuletzt lacht … galt am Donnerstagabend für die in diesem Jahr letzte Veranstaltung des Wörrstädter Kulturkreises in der Rommersheimer Scheier 1664. Die Gäste des literatierischen Abends mit dem Schauspielerduo Markus Maria Winkler und Jürgen Wegscheider amüsierten sich königlich, nicht nur bei “Der Löw’ ist los” (seinen Apostroph hat er auch mitgenommen!), bei dem Kurt Tucholsky (1890-1935), als “genauer Hingucker” die Berliner so treffend persifliert. Wegscheider überzeugt als Löwe voll und ganz, Winkler stellt dazu die Zoobesucher und die verunsicherten Berliner dar.

Mimikry durchzieht das gesamte Programm
Ein andermal verwandelt sich Winkler in einen unglaublich lebensechten Affen, der Tisch wird zum “Affenkäfig”. Wegscheider liest, Winkler liefert die Mimik, auch dies zu einem Text von Tucholsky. Die Mimikry der beiden zieht sich durch das gesamte Programm: Goethes Storch, dessen Beruf und sein (Gott bewahre!) antiklerikales Verhalten, der Nachruf auf einen verstorbenen Star von Wolfgang Amadeus Mozart, das arme, kurz angebundene Hunderl aus Wien im Dialog von Peter Hammerschlag (1902-1942), bei dem Wegscheider als Passant in seine Muttersprache wechselt … Dies tut er auch in der Geschichte von der “Bärenjagd”, bei der er den hochdeutschen Text von Wilhelm Busch (1832-1908) adäquat ins Wienerische überträgt: “Das hat mich gereizt.” Diese Geschichte beweist, dass mit zwei Flaschen Veltliner auch die brenzligste Situation beherrscht werden kann, Hauptsache, man hat einen Korkenzieher dabei.

Überzeugend schauspielernd, ohne Requisiten, nur mit Mimik und Gesten in eine Rolle schlüpfend, erwecken die beiden Akteure die ohnehin schon köstlichen Texte zu brillantem Leben. Als Spatzenehepaar streiten sie über die Besitzverhältnisse an den zu bebrütenden Eiern in einer Story von Manfred Kyber (1880-1933), dessen Tierfabeln zu Unrecht wenig bekannt sind und die vor allem die anwesenden Ehegatten dazu bringt, neben dem Applaus wissend zu nicken. Joachim Ringelnatz (1883-1934) darf natürlich in der tierischen Runde nicht fehlen und ist nicht nur mit Krähe, Ameise und Meerschweinchen vertreten. Christian Morgensterns (1871-1914) ernährungsbewusster Hecht scheint dem Zuhörer verblüffend aktuell zu sein.
Bei der Interpretation der “Bremer Stadtmusikanten” beweist Winkler (“Mein Hahn kräht friesisch”), dass er weitaus besser krähen kann als jeder Hahn in der näheren und weiteren Umgebung und beeindruckt damit das Auditorium restlos. Der Sprachwitz von Wilhelm Busch wird in der Geschichte von “Hänschen Däumeling” schauspielerisch zur Geltung gebracht und selten hat man einen so glaubwürdig dargestellten Frosch gesehen wie in Kybers “Die Eintagsfliege”. Wegscheider braucht sich nur auf einen Stuhl zu kauern, schon ist er Frosch und der Identitätswechsel zu philosophierendem Käfer und Ameise wird ebenso mühelos auf den Punkt gebracht.

Seit zehn Jahren gibt es das gemeinsame “tierische” Programm und es wird niemals inaktuell, denn in den Rollen der Tiere halten die Schauspieler dem Publikum den Spiegel vor, das lacht mit und dabei über sich selbst. “Wir haben einen fabelhaften Zoo in München” sagt Winkler nach dem Ende der Tiershow, “da konnten wir die Tiere studieren – oder die Menschen.”